2. Gruß aus der Andreasgemeinde

Nachricht 17. März 2020

Liebe Gemeindemitglieder, liebe Freundinnen und Freunde der Andreasgemeinde,

was für ein schöner Tag! Ich wache auf, ich schaue aus dem Fenster - und die Sonne lacht. So ist es schon seit Tagen. Wie gut das tut, die Sonne im Gesicht und die frische Luft in der Nase zu spüren. Doch in diesen Tagen ist alles anders als in den Frühlingstagen all die Jahre zuvor. So hell und friedlich die Welt auch wirkt, wenn ich aus dem Fenster schaue, so unruhig ist es oft in mir. Ich denke viel mehr an die Menschen, denen ich verbunden bin. Und an die, denen es nicht gut geht. Ich mache mir Gedanken über die Welt, die Kirche und über unsere Gemeinde. Am liebsten würde ich jetzt ganz viel machen, doch ich weiß, dass Aktionismus jetzt nicht wirklich produktiv ist.

Dies ist erst der zweite Gruß aus der Andreasgemeinde, doch mir kommt es vor, als hätte uns die Corona-Krise schon viel länger im Griff. Inzwischen hat sich manches beruhigt, und es scheint mir fast eine gewisse Routine im „Leben auf Distanz“  eingekehrt zu sein. Wir wissen nicht, wie sich alles weiterentwickelt und wie lange wir noch mit Einschränkungen leben müssen. Mir ist in diesen Tagen sehr, sehr deutlich geworden, dass nicht wir es sind, die alles in der Hand haben. Aber ich vertraue darauf, dass Gott uns in seiner Hand hält. All unser Tun und Lassen kann darum am besten im Vertrauen auf ihn geschehen.

BETEN FÄLLT NICHT AUS!

Als ich am Montag in der Andreaskirche war und mich nach einem Fotomotiv umschaute, sind mir diese Worte auf dem Kirchenfenster ins Auge gefallen: „sondern vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“ Wie passend, habe ich gedacht. Das denke ich übrigens zur Zeit ziemlich häufig: Wie passend! Wenn ich die Losungen lese zum Beispiel. Dann denke ich manchmal: Das hat sich doch jemand extra für heute ausgedacht. Natürlich weiß ich, dass das nicht stimmt. Ich glaube, ich höre und sehe einfach ganz anders im Moment. Viel intensiver, viel aufmerksamer!  Ich spüre ganz oft, dass Gott da ist. Manchmal spüre ich das einfach so zwischendurch. In den kleinen Dingen, in den Blüten und Knospen der Schneeglöckchen, Magnolien oder Kirschblüten. Wenn die Sonne mein Gesicht berührt. Wenn ich den Frühling rieche. Wenn die tiefdunklen Augen der kleinen Mariam mir verschmitzt zublinzeln. Was für ein Segen!

Und dann wieder bin ich einfach nur müde und erschöpft. Ich denke an die Menschen in meiner Klinik, die im Bett liegen müssen, und die nicht einmal mehr Besuch empfangen dürfen. Ich erlebe dramatische Szenen, wenn Ehepartner und Kinder draußen am Fenster vor den Zimmern der Angehörigen in der Klinik stehen, nur um sich wenigstens aus der Entfernung zu sehen! Da kann man nur noch weinen und seufzen. Manchmal weiß ich nicht mehr, was ich beten soll!

Paulus schreibt im Römerbrief (Röm 8,26): „Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“ Wahnsinn! Wie entlastend! Gottes Geist tritt für mich ein! Manchmal kann ich einfach nicht mehr. Aber zu Gott kommen kann ich. Mich fallen lassen. Ich kann beten, so wie ich es gerade vermag. Ich kann laut schreien. Ich kann singen. Ich kann seufzen. Ich kann flüstern. Oder einfach schweigen vor Gott. Er ist da. Und er weiß, dass ich da bin!

Nicht alles ist abgesagt …  

Sonne ist nicht abgesagt
Frühling ist nicht abgesagt
Liebe ist nicht abgesagt
Lesen ist nicht abgesagt
Zuwendung ist nicht abgesagt

Musik ist nicht abgesagt
Phantasie ist nicht abgesagt
Freundlichkeit ist nicht abgesagt
Gespräche sind nicht abgesagt
Hoffnung ist nicht abgesagt
Beten ist nicht abgesagt …

Pastor Martin Steinke, Vakanzvertreter